Ein Interview über Erfahrungen mit Online-Dating, generelle Probleme bei der Suche nach einer Freundin und was die Kirche damit zu tun hat.
MALMOE: Kannst du dich kurz vorstellen?
Martin Rieger: Ich bin 32 Jahre alt und wohne in Wien. Ursprünglich komme ich aus Kärnten, aus Heiligenblut, und lebe seit über zehn Jahren in Wien. Ich lebe in einer eigenen kleinen Wohnung mit persönlichen Assistenten, die kommen ungefähr zwei- bis dreimal die Woche und helfen mir mit dem Haushalt. Also kochen, Boden wischen, Wäsche waschen, putzen und ja, das geht ganz gut mit den Assistenten.
Du warst 2019 auf der Pride mit einem Schild, auf dem stand „I bin behindat, oba mein Schwonz is net“. Warum hast du das gemacht?
Das Schild war am Rollstuhl fixiert. Das war aus einer Laune heraus. Eigentlich war das nur ein Spaß. Ich war mit einer guten Freundin unterwegs und wir haben darüber geredet. Dann ist mir die Idee gekommen, ich könnte ja so ein Schild machen, das drauf schreiben und dann auf die Regenbogenparade fahren. Ich hab mir gedacht, ja das mach ich, weil die Leute glauben, dass die Behinderten keine Sexualität hätten, die verlieben sich nicht, die sind nur behindert und die haben solche Gefühle nicht. Klar ist das ein kompletter Schwachsinn, aber leider ist das immer noch die Meinung der meisten Leute, das ist in ihren Köpfen drinnen. Mit dieser provokanten Aussage hab ich versucht, das ein bissi aufzulockern. Denn ich will auch ficken und das ist ganz normal. Ich bin ein Mann mit allen Gefühlen und mit allen Bedürfnissen und ich habe auch noch eine Behinderung. Aber das sehen die Leute nicht, die Leute sehen nur die Behinderung und nicht den Mann, der da dahintersteht.
Mit dem Schild wollte ich Aufmerksamkeit erreichen, ich weiß nicht, ob mir das gelungen ist, in meinem kleinen Kreis sicher. Die meisten Leute denken sicher, ich sei ein kompletter Vollidiot, ich sei nur notgeil und ich wolle nur ficken. Wenn sie das denken, ist mir das auch wurscht, weil ich habe schon lange gelernt, dass ich auf die anderen Meinungen der Leute scheißen muss. Mir ist eigentlich egal, was die Leute von mir denken, die Leute müssen nicht mit der Behinderung leben, ich muss mit der Behinderung leben, und zwar jeden Tag, jahrein und jahraus.
Wie haben die Leute reagiert?
Unterschiedlich, die Mehrheit war positiv, eigentlich alle Reaktionen auf der Pride waren positiv, denn zur Regenbogenparade gehen nur Leute, die offen sind. Ein unaufgeschlossener Mensch geht nicht zur Regenbogenparade. Ich habe das Schild dann noch mehrere Tage oben gehabt, in der Woche nach der Pride. Da ist es schon vorgekommen, dass die Leute mich beschimpft haben oder dass Leute gesagt haben, ich sei geistig behindert und wisse gar nicht, was da oben steht. Verschiedene Sachen, mir ist das eigentlich egal, denn die Leute, die so denken, sind selber ein bissi deppert.
Was für Schwierigkeiten hast du bei der Suche nach Partnerinnen?
Die Partnersuche ist für mich extrem schwierig. Das allererste Mal, wenn ich eine Frau kennenlerne, die mir gefällt, dann muss ich mich fragen, wie sieht sie mich, sieht sie mich als Mann oder als Behinderten? Die Mehrheit sieht mich als Behinderten, aber es gibt andere Frauen, die mich nicht nur als Behinderten sehen. Aber eine zweite Hürde ist halt, dass die mich nicht als potenziellen Partner sehen, eben wegen der Behinderung. Ich will nicht sagen, dass sie das bewusst machen. Es ist ja eine Meinung, die muss man nicht bewusst haben, es reicht ja, wenn du das unbewusst machst. Das zu brechen, ist ganz schwer.
Ich trau mich auch nicht so, ich habe da auch meine Probleme. Ich muss mich überwinden, einer Frau zu schreiben, dass wir vielleicht einmal Kaffee trinken oder spazieren gehen können und dann sehen wir eh, wohin sich das entwickelt. Das muss ich auch lernen, ihr mehr zu zeigen, das tue ich halt auch nicht. Ich stell mir immer die Frage, warum soll eine Frau einen Behinderten nehmen, wenn sie einen gesunden Mann haben kann, warum? Warum soll die Frau mich nehmen?
Und ich weiß, dass die Gedanken, die ich da habe, ganz schädlich sind für mich, und ich darf solche Gedanken nicht haben. Aber ich kann das nicht abstellen, diese Gedanken sind da. Ich kann nicht einfach sagen, ich darf das nicht denken. Ich bin eher einer, der zu viel denkt und sich zu jedem Scheiß Gedanken macht und dann sind halt auch solche Gedanken dabei, die nicht so geil sind. Manchmal gelingt es mir nicht, solche Gedanken wegzuschieben, und dann bin ich ein bisschen down, eben schlecht drauf. Aber das ist auch eine Chance, das ist eine Möglichkeit, etwas über mich selbst zu lernen. Ich muss lernen damit umzugehen, weil wenn ich das nicht mache, wenn ich das nicht lerne, dann schaut es schlecht aus mit einer Freundin. Dann bin ich nur deprimiert und kriege nie eine. Ich muss immer denken, ja, ich habe eine Behinderung, aber ich habe auch andere Qualitäten.
Machst du auch Online-Dating?
Nein, Online-Dating mach ich nicht, ich schreib nur mit den Frauen, die ich schon kenne. Beim Online-Dating falle ich komplett aus dem Raster. Das ist nur was für Menschen, die gesund sind und die normal ausschauen. Ich schau durch meine Behinderung nicht so schön aus und beim Online-Dating geht es nur um Ausschauen: Ja, der schaut geil aus und nein, der schaut nicht geil aus. Ich hab das auch schon probiert, meine beste Freundin hat mir einen Parship Account geschenkt, aber das hat nichts gebracht, weil sich da keine gescheiten Chats ergeben. Ich schreib nur mit den Frauen, die ich real kenne, das sind nicht viele und durch Corona sind das noch weniger.
Was wünschst du dir von einer Partnerin?
Das ist eine gute Frage, weiß ich nicht. Eine, die mich so akzeptiert, wie ich bin, die mich mit meinen Macken akzeptiert.
Was würdest du dir von der Gesellschaft wünschen?
Dass die Leute offener sind, die Leute sind so verschlossen, wenn es um Ficken geht. Keiner redet drüber und ich finde das schade, weil das ist eine ganz normale Sache. Wenn die Leute offener wären, dann gäbe es die Angst nimmer, etwas falsch zu machen.
Auch mit meiner Familie, ich bin der einzige, der so offen ist, ich könnte mit ihnen nie so darüber reden, weil die, ich weiß nicht, sind stur, die gehen in die Kirche und reden über Religion. Das finde ich sehr schade, aber ich muss das akzeptieren. Aber ich will halt, dass die Menschen in unserer Generation, unsere Kinder drüber reden, bei den alten Leuten kannst du da eh nichts mehr ändern. Bei der nächsten Generation, da kannst du das ändern, da kann man mehr darüber reden und mehr über Behinderte und Sexualität reden, denn das ist allgemein ein Tabuthema, über das nie geredet wird, auch in der Schule nicht.
Warum reden Leute nicht über Sex, warum haben sie da Angst?
Weil sie so kontrolliert worden sind, von der Kirche und von den Eltern. Die Kirche sagt immer, Sex ist nur erlaubt, wenn du Kinder haben willst, und alles andere ist verboten. Ich finde, das ist ein Blödsinn, weil jeder hat das Bedürfnis nach Nähe, Zärtlichkeit und die Leute machen es ja trotzdem, aber haben dann ein Schamgefühl. Sie haben Sex und wissen, dass sie das nicht dürfen, und reden deshalb nicht darüber. Das Schamgefühl kontrolliert. Sex nur in der Ehe, sagt die Kirche, was ein kompletter Blödsinn ist. Denn machen tut es ja jeder, aber die Leute denken über das nicht nach, die Leute wiederholen nur, was ihnen von den Eltern und der Kirche eingetrichtert wurde.
In deinem Vortrag im Jänner hast du gesagt, dass Sex und Behinderung so was wie ein doppeltes Tabu sei. Warum ist es doppelt so schwer, über Sex und Behinderung zu reden?
Für mich ist es nicht schwer, weil ich auf die anderen Leute scheiß, und mit der Einstellung mach ich mir das Leben leicht, denn ich brauch nicht denken: Uh, wenn ich das jetzt sage, was werden die anderen denken? Ich habe auch lange gebraucht, um zu realisieren, dass mir die anderen Meinungen egal sein müssen. Das ist nicht von heute auf morgen gegangen. Das hat schon angefangen als Kind, da war ich noch etwas zurückhaltender, aber das ist normal, als Kind hört man noch auf die Eltern. Aber wie ich dann nach Wien gekommen bin, wie ich in meine eigene Wohnung gezogen bin, da ist es erst richtig losgegangen. Da habe ich mich selber entwickelt und realisiert, dass es mir wurscht sein muss, was andere über mich denken. Jetzt bin ich in einer privilegierten Stellung. Für mich ist das so normal, dass ich da offen drüber rede, und anderen Leuten ist das dann aber peinlich. Ich will keinen verletzen, das ist halt auch die negative Seite, dass sich die andere Person unwohl fühlt, und das will ich auch nicht. Ich versuche dann auch Rücksicht zu nehmen, aber immer gelingt mir das auch nicht, grad bei solchen Themen gelingt mir das nicht immer. Dann bin ich in einem Redefluss drinnen und ich sage das, was ich mir denke.
Ich bin auch nicht der Typ, der so gerne im Rampenlicht steht oder der da so gerne vor den Leuten redet. Ich mach das und andere Leute sagen auch, dass ich das gut mache, aber ich mag das eigentlich gar nicht. Aber ich tu es halt, weil ich mir denk, ein anderer, der nicht behindert ist, kann das nicht machen und einer, der behindert ist, ist vielleicht nicht so offen. Andererseits denk ich mir, ich hab irgendwie auch die Pflicht, das zu machen, weil ich in einer Situation bin, die scheiße ist, und ich muss versuchen, das zu verändern. Oder wenigstens ein bisschen aufzuklären, wie es mir so geht, weil die Leute wissen das überhaupt nicht, die haben da keinen Einblick. Ich lebe in einer anderen Welt, wenn ich nicht über meine Welt rede, dann werden die anderen nie erfahren, wie es in meiner Welt ist. Wenn ich jetzt ein gesunder Mann wäre und ohne Behinderung, würde ich nicht vor den Leuten über das Thema reden. Ich mach das nur, weil mir das Thema am Herzen liegt.